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Ägypten: Auf gute Nachbarschaft!

Schon vor Corona und bevor ich meinen Giur gestartet und die Leute in meiner Synagoge kennen gelernt habe, hatten ein paar Gemeindemitglieder eine Rundreise durch Ägypten geplant. Immer wieder wurde sie verschoben. Gut für mich, denn mittlerweile hatte ich genug Zeit, zu konvertieren, die anderen Leute in meiner Synagoge kennen zu lernen und mich natürlich für die Reise anzumelden! Mein Mann ist ein (Rund-)Reisemuffel, der im Urlaub am liebsten seine Ruhe will und so hatte ich gleich jemanden, der zuhause auf die Hunde aufpasst. Im Vorfeld gab es abends in der Synagoge Vorlesungen von Rabbinern und Professoren, über die ägyptische Version der Schöpfungsgeschichte oder die Genizah von Kairo. In der örtlichen Synagoge wurden über 400.000 jüdische Schriftstücke gefunden: weil Papier, auf dem der Name Gottes steht, nicht weggeworfen werden darf, wird es begraben.


Jede Woche wurde ich aufgeregter, habe sogar ein paar Brocken Arabisch aufgefrischt und mir auf Youtube die besten Tricks angeschaut, auf dem Bazar möglichst nicht übers Ohr gehauen zu werden. Darüber, dass wir als Gruppe jüdischer Israelis reisen, haben wir uns natürlich auch Gedanken gemacht, aber uns wurde eine Polizei-Eskorte versprochen und falls jemand fragt, woher ich bin, kann ich einfach "Deutschland" antworten, ich reise immerhin mit meinem deutschen Pass.


Morgens um halb 5 treffen also 34 müde Gesichter vor der Synagoge ein. Müde, aber alle voller Vorfreude: wir fahren früh los, um heute Abend nach 10 Stunden Fahrtzeit (netto) schon im Hotel in Kairo anzukommen! Bis zur Grenze in Eilat verläuft die Fahrt auch ganz unspektakulär. Nach ein paar Pausen, unter anderem in Yotvata beim (im Winter nicht-funktionierenden) endlosen Schokomilch-Brunnen kommen wir an den Grenzübergang Taba. Zur Einreise nach Ägypten begrüßt uns einer unserer Guides Mohammed, er hilft mit den Visa, die man braucht, wenn man weiter als in den Sinai fährt. Als Reisegruppe mit ganz unterschiedlichen Pässen (deutsche, amerikanische, kolumbianische, italienische und natürlich israelische) dauert das ganze Prozedere etwas und nach fast 3 Stunden sitzen wir endlich im Bus in Richtung Nuweiba. Mittagessen am Nachmittag. Als unser Reiseleiter Ahmad erzählt, dass die Fahrt bis Kairo 8-10 Stunden dauert, geht unser israelischer Organisator davon aus, dass er die Zeit hin und zurück berechnet. Wir sind beruhigt. Noch.



Wir bekommen unsere ägyptischen Simkarten, um uns zumindest ab und zu bei unseren Lieben zuhause melden zu können. Alle funktionieren, außer meine. Ahmad wird nicht zum letzten Mal mein Retter in der Not sein und als wir in Nuweiba ankommen, trudeln ebenso die ganzen verpassten Whatsapp-Nachrichten auf meinem Handy ein. Da bin ich ja beruhigt!

Um halb 5 geht es weiter in Richtung Kairo. Wir fahren die Route durch den Sinai, vorbei am Katharinenkloster und am berühmten Berg Sinai. Ein Aufstieg auf den Berg stand eigentlich auch auf unserem Programm, wurde aber aus Zeitgründen später gestrichen, außerdem hat es am unteren Ende des Berges im Januar um die Null Grad, da können wir uns die Wanderung gern sparen. Gut, dass ich mit meiner Mama vor 13 Jahren schon einmal den Aufstieg geschafft habe!


Mittlerweile wird unsere Ankunft in Kairo auf 23 Uhr geschätzt. Die Busfahrt zieht sich ewig hin, die einzige Straße ist eine Baustelle und wir holpern alle 100 Meter auf eine Fahrbahn aus Sand und wieder zurück. Die Stimmung kippt langsam, Schlafen ist auf dieser Strecke unmöglich, wir versuchen die Fahrt einfach irgendwie durchzustehen.


Um halb 9 kommen wir endlich wieder auf eine befestigte Straße - und es gibt Netz! Zum ersten Mal wünsche ich mir, dem wäre nicht so. Google Maps sagt, dass wir von hier aus noch fast vier Stunden brauchen. Und ich dachte immer, nur de Auszug aus Ägypten hätte ewig gedauert! Meine letzte Whatsapp geht um kurz vor 11 an meinen Mann: "Gleich fahren wir durch den Tunnel am Suez-Kanal, dann noch etwas über 2 Stunden." Ich schlafe ein. Und wache auf, vom Gewitter und Regen der an die Busfenster peitscht. Ob wir wohl bald in Kairo sind? Es dauert kurz, bis ich realisiere, dass wir stehen. Es ist kurz vor Mitternacht, wir sind immer noch kurz vor dem Suez-Kanal. Der Tunnel wurde aufgrund ungewöhnlich starkem Regens geschlossen, wir sind Teil eines riesigen Staus.


Irgendwann, nach noch mehr Halbschlaf, Wut, Traurigkeit ("Ich fahr nie wieder nach Ägypten!") und der gefühlt hundertsten Passkontrolle sind wir durch den Tunnel und offiziell in Afrika! Unsere Freude hält sich in Grenzen. Erst, als wir über die Stadtautobahn von Neu-Kairo düsen, werde ich wieder aufgeregt: Ich bin wirklich in Kairo! Auf Google Maps verfolge ich gespannt, wie wir dem Hotel immer näher kommen, es ist fast 3 Uhr morgens. Aber egal, denn da! Eine kleine Spitze in schwarz zeichnet sich auf dunklem Hintergrund ab - die Pyramiden! Ich bin wieder hellwach und würde am liebsten direkt hin, statt ins Hotel einzuchecken. Was für eine Odyssee, aber für diesen Anblick hat sich das wirklich gelohnt!


 

Am ersten Morgen starten wir später als geplant. Auf dem Weg zum Hotel haben wir noch unser Abendessen abgeholt - jemand hat wirklich bis kurz vor 3 in seinem Restaurant gewartet, um uns noch mit warmem Essen zu versorgen! Gegrilltes und Tahini, wir fühlen uns wie zuhause.


Unser erster Stop führt uns ins "Museum of Civilization", wir besuchen die Mumien, denen wir nach so einer kurzen Nacht gar nicht so unähnlich sehen. Es ist unfassbar, dass da echte Menschen - Könige! vor einem liegen, jahrtausende alt.



Nach dem Mittagessen ging es weiter ins Ägyptische Museum am Tahrir-Platz. Ein Highlight jagt das nächste, ich bin doch schon so überwältigt! Hier liegen unter anderem die Schätze aus dem Grab von Tutanchamun. Und während ich der goldenen Maske des Pharaos gegenüberstehe macht sich mein Bauch grummelnd bemerkbar. Hunger kann es nicht sein, wir essen ja gefühlt alle drei Stunden. Wir wurden gewarnt, kein Leitungswasser zu trinken (oder damit Zähne zu putzen) und bei Obst und Gemüse vorsichtig zu sein, aber das Essen, das speziell für uns Touristen vorbereitet wurde, wäre in Ordnung. Auweia! Den Rest erspare ich euch, aber als wir nach dem Abendessen (Suppe für mich) aus der Apotheke kommen, lächeln die Ägypter wissend - sie kennen das Päckchen in meiner Hand.


 

Und Ahmads Medizin tut seine Wunder - am nächsten Tag stehe ich wieder fit wie ein Turnschuh vor den Pyramiden! Wahnsinn! Wer möchte, kann bis ins innere der Pyramide, was allerdings nicht empfohlen wird, wenn man zu Klaustrophobie neigt. Mir wird schon manchmal in einem Fahrstuhl mulmig, aber das kann ich mir nicht entgehen lassen. Zur Not habe ich Freundinnen aus meiner Gruppe zum Händchenhalten. Aber klaustrophobische Gedanken haben hier in der Pyramide sprichwörtlich keinen Platz - es geht nach einem kurzen Eingangsweg in einem 1x1 Meter Tunnel nach oben. Und ausgerechnet jetzt kommen uns Israelis entgegen! Klein ist die Welt, beziehungsweise dieser Tunnel. Der Aufstieg geht weiter, jetzt haben wir mehr Platz, die Wände sind 8 Meter hoch und nach ein paar weiteren Metern sind wir fast exakt im innersten Punkt der Pyramide: der Königskammer. Wir sind euphorisch, lachen, schwitzen (elektrisches Licht haben sie zwar, aber eine Klimaanlage wäre nötiger :)) Wir haben es geschafft und ich meine Angst überwunden! Jetzt den ganzen Weg zurück, was für ein Spaß...



Den restlichen Tag verbringen wir mit einem breiten Grinsen, wir besuchen natürlich die Sphinx - und glaubt mir ich fand sie wunderschön - und eine weitere, noch ältere Pyramide in Saqqara. Doch der Tag ist noch lange nicht vorbei, wir sind ja nicht zum Spaß hier!



Statt einem Hotel gibt es heute Nacht ein Bettchen im Schlafwagen nach Luxor. Alles ist etwas kleiner. Aber wir arrangieren uns, machen das beste draus und zack - morgens um kurz nach 6 trudeln wir in Luxor ein, der Blick aus dem Fenster tut seines und die Euphorie ist zurück.



Nach einer Katzenwäsche im Zug (es gibt keine Duschen) fahren wir direkt zu den nächsten Highlights: dem Tempel der Hatschepsut und dem Tal der Könige. Wow! Wir haben drei Gräber besichtigt und was mich ganz besonders gefreut hat: Bis vor kurzem musste man extra zahlen, um mit einer annehmbaren Kamera fotografieren zu können, diese Extra-Gebühr wurde jetzt gestrichen und ich habe mein Erspartes direkt in ein handbemaltes Papyrus umgesetzt.



Am Morgen gab es das beste Frühstück: Foul, Tahini, ägyptisches Brot und viel leckeres Obst - überhaupt hat sich das Hotel in Luxor noch mal besser angefühlt, nach der Nacht im Zug. Den Tag verbringen wir in den Tempeln Karnak und Luxor, abends bummeln wir über den Markt und als die Verkäufer erfahren, dass wir Israelis sind, sprechen sie ein paar Brocken Hebräisch. Auf Deutsch hätte ich das ja erwartet, aber das war eine schöne Überraschung. Luxor war wirklich wunderschön, es war richtig sommerlich und ich habe direkt den ersten Sonnenbrand des Jahres.



Abends kommen wir wieder an den Bahnhof, es ist noch kurz Zeit, Proviant für die Zugfahrt einzukaufen, zum ersten Mal entdecken wir auch flüssige Nahrung und decken uns mit Wein und Bier ein - wir haben immerhin 8 Stunden im Nachtzug vor uns. Und als wir in den Zug steigen, beginnt die Party: meine Zimmer-Nachbarin spielt auf ihrem kleinen Bluetooth-Lautsprecher den israelischen Hit aus den 80ern "Nachtzug nach Kairo" und ich bin mir ziemlich sicher, dass darin exakt der Zug besungen wird, in dem wir uns gerade befinden. Zwischen Polonäse durch unsere beiden Waggons und einem kleinen Konzert von einem der Rabbis und seiner Gitarre gab es Abendessen und die Bahn-Mitarbeiter werden sowas sicher nur einmal erleben - die verrückten Israelis! Die Nacht war sehr angenehm, das Sakkara-Bier mit 10% hat seinen Teil dazu beigetragen und als wir zurück in Gizeh sind, bin ich eine der wenigen, die fröhlich und ausgeschlafen ist.



Heute steht ein ganz besonderer Besuch für uns auf dem Programm: Durch einen Kontakt von Ahmad konnten wir eine Synagoge in Kairo besuchen und morgens um halb 10 dort unseren Shabbat feiern. Die Kerzen zünden wir später halt im Hotel an. Aber "Lecha Dodi" in einer Synagoge zu hören, in der lange keine Juden mehr gesungen haben - wow! Spätestens als zwei der Mädchen noch Hallelujah von Leonard Cohen auf Englisch, Hebräisch und Arabisch gesungen haben, hatte der letzte Tränen in den Augen.

Den Nachmittag verbrachten wir in Fustat, dem ältesten Teil Kairos, der "Hängenden Kirche" und vor den Toren der Ben Ezra-Synagoge, die leider geschlossen war.



Am Abend war eine Schifffahrt auf dem Nil geplant, die ich fast verpennt hätte. Mein Nachmittagsschläfchen war so gemütlich und weil mein Wecker morgens auf 5:30 stand, hatte ich ihn wieder auf 17:30 gestellt. Anstatt 16:30, denn Abfahrt war um 17 Uhr. Zum Glück wurde ich geweckt und habe so nur den Beginn von Shabbat verschlafen - und das bei einer Reise mit meiner Synagogen-Gemeinde! Auf dem Schiff wurde lustigerweise israelische Musik gespielt, aber niemand wusste, dass wir alles verstehen. Und später wundern sie sich, dass die Israelis überall Party machen...


 

Unser letzter Tag in Kairo steht an, ich kann mir gar nicht mehr vorstellen, nicht mehr ständig an diesen riesigen, beeindruckenden Pyramiden vorbei zu fahren! Heute besichtigen wir die Zitadelle und darin die Mohammed Ali-Moschee, und nein, es handelt sich nicht um den Boxer. Uns wird fürs Mittagessen endlich einmal "lokale Küche" versprochen, es war auch lecker, aber ich glaube, die Ägypter sind nicht gewohnt, dass Touristen gerne Foul und Tahini essen, einen Großteil unseres Tellers nahmen Pommes und Salat ein, dazwischen versteckte sich ein (dafür sehr leckeres) Falafel-Bällchen. Ach, hätte es das die ganze Zeit gegeben!



Frisch gestärkt machten wir uns auf den Weg über den Khan El-Khalili Markt, die letzten Souvenirs kaufen. Ich hänge mich an meine Freundin und ehemalige Giur-Lehrerin und ihren Mann, sie hat das Handeln drauf, macht tolle Deals und wir werden für eine glückliche amerikanische Familie gehalten. Als wir am Ende des Bummels auf den Rest unserer Gruppe warten, lasse ich mir in weniger als 2 Minuten ein wunderschönes Henna-Motiv auf die Hand zeichnen. Wir haben jetzt ja wieder 8 Stunden Busfahrt nach Nuweiba vor uns, genug Zeit, um zu trocknen.


 

Und es bestätigt sich: ich bin nicht für Cluburlaub gemacht. Jede Mahlzeit nehme ich mit dem Gedanken ein, mir hier am Anfang der Reise etwas eingefangen zu haben und ich fühle mich seltsam, nicht einfach die Hotelanlage verlassen zu können und zu unternehmen, worauf ich Lust habe. Ok, es gibt eine Yogastunde, die mir nach der ewigen Busfahrt ganz gelegen kommt. Außerdem hängen wir am Strand herum und ich drehe die ersten Runden im Meer in diesem Jahr.

Am Abend verabschieden wir uns nicht zum letzten Mal von unserem Ahmed, mittlerweile eher Freund als Reiseleiter. Überhaupt waren alle Ägypter, die wir kennen gelernt haben super freundlich und hilfsbereit, keinmal aufdringlich oder unangenehm, wie man es manchmal auf Youtube sieht. Als Israelis und Juden haben wir uns echt immer willkommen gefühlt, wir sind ja Cousins und Nachbarn. Und obwohl sich unser Nachhbarland so von uns unterscheidet, bin ich am Ende der Reise nicht mehr so sicher, dass es mein einziger Besuch in Ägypten war.

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