8. September 2024
Ich sitze in meinem alten Bett in meinem alten Kinderzimmer und hatte zum ersten Mal seit 11 Monaten ein Wochenende ohne den ständigen Druck und Krieg im Hintergrund. Es war nicht mal Zeit, Nachrichten zu lesen und endlich bin ich froh darüber. Noch zwei Tage, bis ich zurück im Israelischen Alltagschaos bin, aber jetzt schwelge ich noch ein bisschen in Erinnerungen und genieße das "keine Sorgen machen".
Eine Woche Urlaub in der alten Heimat - im Mai hat meine Mama von einem Treffen mit dem Schlagzeuger meiner Lieblingsband aus Teenagerzeiten erzählt. Anfang September wäre ein Konzert auf einem Mittelalter-Festival ganz in der Nähe meiner Eltern. An genau diesem Wochenende vor einem Jahr war ich auch schon in Deutschland, es war schon damals perfektes Wetter und mir fehlten sowieso ein bisschen die Mittelalter-Märkte, auf die ich früher so gerne gegangen bin. Dass auf dem gleichen Festival auch noch eine meiner neueren Lieblingsbands spielt (die ich blöderweise erst entdeckt habe, nachdem ich nach Israel ausgewandert war) war dann der letzte Stupser, den ich brauchte, um noch am gleichen Tag meinen Urlaub einzureichen und eine Stunde später einen Flug zu buchen. Hoffen wir, dass bis September alles verhältnismäßig ruhig bleibt und ich wirklich fliegen kann.
Und wie sich diese Monate seit Mai gezogen haben! Zwei davon war mein Mann auch noch in Reserve und trotz meiner ständigen Müdigkeit hat die Vorfreude den Rest geregelt. Ich halte den Laden am Laufen und belohne mich danach mit einem kleinen Urlaub. Die Vorfreude wurde erst wieder etwas gedämpft, als eine Woche vor meinem Abflug der Flughafen für ein paar Stunden geschlossen wurde – die Hisbollah legte los, aber gottseidank konnte unsere IDF rechtzeitig handeln und schlimmeres vermeiden. Einen Tag vor meinem Flug wurde der Flughafen dann aufgrund eines Streiks geschlossen und ich wusste gar nicht, dass meine Nerven noch blanker liegen könnten. Abends habe ich nur kurz das Nötigste gepackt, mit dem Hintergedanken, dass wahrscheinlich sowieso noch irgendwas schief geht. Dass ich fliege glaube ich erst, als der Flieger losrollt und ich tatsächlich drinsitze.
11. September 2024
Nachts um 1 Uhr lande ich in Tel Aviv und denke, wie perfekt alles war. Eine Woche lang in der alten Heimat zu sein, mir keine Gedanken machen zu müssen, wo ich hinrenne, wenn es einen Alarm gibt und natürlich meine Familie zu sehen! Und das Mittelalterfestival mit den zwei Konzerten war so wunderschön, dass ich jetzt noch versuche, die Atmosphäre aus meinen kurzen Videos aufzusaugen. In Extremo und Lord of the Lost unplugged, selbst meine Mama war nach den Konzerten ganz selig und glücklich.
Perfekter hätte mein Urlaub also nicht laufen können und während ich aus dem Flieger steige, sehe ich, wie die Koffer ausgeladen werden und frage mich, wo wohl meiner ist. Ich hoffe er kommt schnell, mein Mann holt mich ab und wir haben noch ein ganzes Stück zu fahren.
Die Frage, wo mein Koffer ist, klärt sich mit einer SMS von El Al, die mich fast gleichzeitig erreicht: mein Koffer ist noch in München. Er wurde aus irgendeinem Grund nicht eingeladen, ich solle mich an den Lost and Found Schalter wenden. Welcome to Israel, wo immer, wenn man denkt, es läuft gerade alles perfekt, doch noch eine Überraschung wartet. Immerhin ist es nur mein Koffer und mittlerweile ist er auch zurück, aber das Essen, das drin war ist verdorben und es war wahnsinnig nervig, nachts noch Papierkram zu klären, wenn man weiß, dass man morgens schon wieder im Büro erwartet wird.
Heute
Seit zwei Wochen schiebe ich jetzt vor mir her, den neuen Blogeintrag zu schreiben. Vor allem in der letzten Woche hat sich unser Leben auch ganz schön verändert, die Hisbollah schickt Raketen bis südlich hinter Haifa und auch wir hatten gerade unseren zweiten Alarm diese Woche. Auch wenn ich todmüde aus Deutschland zurückgekommen bin, ist von der Erholung, fast nichts vom Krieg mitzukriegen, mittlerweile nichts mehr übrig. Und das ist auch der Punkt, überhaupt einen Blogeintrag zu schreiben:
Leute in Deutschland haben keinen blassen Schimmer, was hier abgeht. Ja, manche haben Verbindungen zu Israel, Freunde und Familie. Die kriegen immerhin ein bisschen Einblick. Würde ich nicht den wichtigsten Nachrichtenkanälena auf Instagram folgen, hätte ich in dieser Woche verpasst, dass über 60 Raketen an einem einzigen Tag von der Hisbollah nach Israel geschickt wurden. Dass der Eingang zum Tunnel unter Rafiah, wo die israelischen Geiseln gefangen gehalten und ermordet wurden, in einem Kinderzimmer liegt. Dass der Vater der Familie Bibas nach seiner Entführung von angeblichen Zivilisten in Gaza angegriffen wurde. Und dass Eden Yerushalmi, eine der Geiseln, die in diesem Tunnel ermordet wurde, gerade mal 36 Kilo gewogen hat, als ihr Körper zurück nach Israel gebracht wurde.
Was für ein Luxus, in einer Welt zu leben, in der man nicht ständig über den Krieg nachdenken muss. Es kommt einfach so wenig Information bei den Leuten an, dass ich mich frage, wie Menschen außerhalb Israels so eine starke Meinung zum Thema haben. Aber jetzt bin ich zurück, zuhause in Israel. Hier leben wir, was der Durchschnittsdeutsche nur in kleinen Häppchen für 2 Minuten in den Abendnachrichten zu sehen bekommt.
Im Moment ist alles einfach nur anstregend, nehmt es mir nicht übel, wenn ich nicht auf Nachrichten antworte, ich habe gerade einfach keine Energie. Nachts schlafen wir schlecht, weil wir im Hintergrund entweder das "Boom boom boom" von explodierenden Raketen hören, die im besten Fall vom Iron Dome abgeschossen werden, oder die Kampfjets, die fast durchgehend durch die Luft brausen. Unsere kleine Hündin zittert bei jedem Boom, sie nimmt das ja ganz anders war. Unser alter Hund Gever ist dafür vielleicht zu alt, aber er spürt unsere Anspannung und es ist richtig beruhigend, ihn nach einem Alarm zu streichen um runterzukommen. Neben den Hisbollah-Angriffen muss unser normales Leben natürlich auch weiter laufen, aber im Büro haben wir immerhin einen Bunker. Mich macht dort eher nervlich fertig, wie Mitarbeiter auf die Booms und ständigen Alarme um uns herum reagieren, es ist alles noch lauter und aufgeregt und ich muss mich mehrmals am Tag daran erinnern, Schultern und Gesicht zu entspannen und einfach nur zu atmen.
Kurz: Unser Leben ist im Moment ein Limbo zwischen Krieg und Alltag, alles muss weiterlaufen, auch wenn im Hintergrund Raketen fliegen. Man kann sich nicht vorstellen, wie anstrenged alles ist.
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