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Blog

Zeva Adom

Fast 12 Monate war es trotz Krieg relativ still bei uns in Haifa. Wir haben die Kämpfe gegen die Hamas im Süden und die Hisbollah im Norden auch nur über die Nachrichten verfolgt, wenn auch genauer als in Deutschland. Nachrichtensendungen laufen in Israel den ganzen Tag und ich erinnere mich an keinen Tag, seit ich mit meinem Mann zusammen wohne - außer vielleicht Yom Kippur - an dem wir nicht stundenlang von Analysen und Experten beschallt werden. Mit der Zeit wurde mein Hebräisch natürlich besser und obwohl mir oft alles zu viel wird (wir reden von Stunden!), werde ich auch in dieser Hinsicht israelischer und verfolge ständig die neuesten Updates. Liegt wahrscheinlich auch daran, dass wir seit gut einem Monat mitten drin sind.

 

Genau heute vor einem Monat, am 23.9. war der erste Alarm seit langem bei uns in Haifa. Seitdem gab es laut den Aufzeichnungen der IDF 23 weitere Alarme, die im Nachbarort, wo ich meine Arbeitszeit auch schon viel zu lange unterbrechen und im Bunker verbringen musste, nicht mitgezählt. Man könnte meinen, mit der Zeit gewöhnt man sich schon an die Alarme, aber mein Körper reagiert immer noch wie beim ersten Mal. Mein Handy meldet sich bevor die Sirene draußen los geht: Alarmton, Vibration und Licht (falls es nachts Alarme gibt). Ich habe außerdem einen Alarmton für meinen derzeitigen Standpunkt eingespeichert, und einen anderen für zuhause bzw. in der Arbeit, je nachdem in welchem Stadtteil ich mich aufhalte. Bis jetzt konnte ich immerhin sofort klar reagieren, aufspringen, eine Wasserflasche holen und mich auf den Weg zum „sichersten Ort“ machen. Dort angekommen spüre ich, wie mein Körper durch den Schrecken und die Anspannung so sehr zittert, dass ich schon die 10 Minuten brauche, um mich wieder zu beruhigen. Wir sollen nämlich nach einem Alarm immer 10 Minuten warten, es könnten immer noch Raketenteile vom Himmel fallen.

 

Der „sicherste Ort“ sieht in jeder Situation übrigens anders aus. Im Büro ist ein richtiger Bunker, die beste und sicherste Option. Wer es sich leisten kann (ausgerechnet hier im Norden gar nicht mal so viele) hat einen Mamad, oder Sicherheitsraum in der Wohnung, einen Raum mit verstärkten Wänden, Stahltür und -fenster. In einfachen, älteren Häusern ist das Treppenhaus unterhalb der Fenster, oder ein „innerer Raum“ der sicherste Ort. Wir haben glücklicherweise eine innere Ecke im Flur, in der wir mit den Hunden auf dem Boden sitzen. Falls man draußen unterwegs ist und kein Gebäude in der Nähe, ist es am sichersten, sich flach auf den Boden zu legen und mit den Händen den Kopf zu schützen. Draußen habe ich gottseidank noch keinen Alarm erlebt und ich fahre so oft wie möglich mit meinem Mann zur Arbeit, aus Angst vor Alarmen auf dem Weg zum Bus, oder noch schlimmer, während der Busfahrt. Mir fällt es auch schwer, mit vielen Leuten zu sein, wenn Alarm ist. Der schlimmste Fall ist im Büro, wo ca. 15 Handys gleichzeitig in sämtlichen Alarmtönen klingeln, Leute aufschreien und aufgeregt durch den Gang rennen. Mein Alptraum ist ein Alarm im Bus, aus ähnlichen Gründen, nur dass dort kein Bunker nebenan ist.


Trösten - zum Glück ist Karla ein Kuschelhund

Unsere Hunde reagieren ganz unterschiedlich auf die Alarme. Karla, die kleine, hört jeden Boom bis in den Libanon und rennt mit eingezogenem Schwanz an ihren „sichersten Ort“, die Ecke hinter dem Bett. Mit der Zeit hat sie aber gelernt, dass es dort, wo wir uns aufhalten, am sichersten ist und endlich sitzt sie bei Alarmen und weiter entfernten Booms direkt bei uns. Gever, mit seinen 16 Jahren blind und fast taub bleibt ziemlich cool, aber er spürt unsere Anspannung. Er ist mein bester Trost nach einem Alarm, er bleibt einfach immer cool. Unsere Gassirunden haben wir im letzten Monat übrigens auch angepasst: statt in den Park nebenan gehen wir direkt an den Häusern vorbei, um im Notfall schnell in ein Treppenhaus zu kommen. So laufen wir bis zum nächsten großen Bunker und zurück. Bis jetzt wurden nur mein Mann und Gever beim Gassi von einem Alarm überrascht, aber zu wissen, dass es immer einen Ort gibt, an dem ich mich innerhalb einer Minute in Sicherheit bringen kann, beruhigt mich schon sehr.


 

Unser Alltag und Arbeitsleben geht soweit normal weiter und es ist ganz schön anstrengend, trotz Alarmen spät in der Nacht oder früh am Morgen zu funktionieren. Aber die Hoffnung, dass die Hisbollah bald an einem Punkt angelangt ist, an dem sie uns nicht länger beschießen kann, lässt uns weiter machen. Schade ist es um die Jahreszeit, jetzt im Oktober ist der perfekte Zeitpunkt um schwimmen und schnorcheln zu gehen, das Meer liegt da wie platt und ist wunderschön klar. Fast gut, dass wir nach einem Tag „weiter machen und trotz Alarmen durchziehen“ so geschlaucht sind, dass wir nicht mal auf die Idee kommen, schwimmen zu wollen.

 

Heute ist Erev Simchat Tora, der Vorabend von dem Feiertag, an dem das Massaker zum 7. Oktober 2023 stattfand. Heute vor einem Jahr war die Welt zum letzten Mal in Ordnung. Was für ein schlimmes, anstrengendes Jahr und trotzdem würde ich nie im Leben woanders sein wollen als hier.

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