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Blog

Was für ein Jahr...

Die ganze Welt spricht mal wieder über Israel - zur Abwechslung geht es nicht um Krieg oder Konflikt, wir sind auf einmal ein Vorbild. Ich habe lang überlegt, ob ich über das durchgekaute Thema schreibe, aber jetzt tu ich's doch und halte alles so persönlich wie möglich, den Rest gibt's in den Nachrichten.


Zeitsprung zurück, Ende Februar 2020. Meine Eltern sind für ein paar Tage nach Israel gekommen, Sonne tanken in Eilat, einen kleinen Abstecher zur Tochter und wieder zurück ins kalte Deutschland. Wir sind schon vor Corona nicht so oft in Restaurants essen gegangen, aber jetzt fällt es erst so richtig auf, das letzte Mal ist ein Jahr und 2 Wochen her, Abschieds-Abendessen mit meinen Eltern in einem ganz schicken Restaurant bei uns in Haifa am Strand.


So wie jetzt alle auf die offenen Restaurants in Israel schauen, haben wir das ganze letzte Jahr über nach Europa geschaut - Open Airs, Veranstaltungen... ich war auf einem einzigen Konzert, 20 Personen, draußen, bestuhlt, Abstand, Maske, trotzdem wunderschön. Was wir aber für diese Lockerungen jetzt durchgemacht haben, hat außerhalb des Landes niemand so richtig mitgekriegt.


Im April konnte man sich kaum zum Gassi gehen aus dem Haus trauen, erlaubt waren 100 Meter Luftlinie vom Zuhause entfernt. Unsere tägliche Runde am Strand entlang beginnt sonst bei 200, an jedem Strandzugang stehen Polizeiautos, hier und da gehen auch einzelne Polizisten in der Nachbarschaft auf Streife, eigentlich jeder, der nicht gerade vom Einkaufen kommt wirkt irgendwie verdächtig. Mittlerweile nehme ich den Hund mit zum Supermarkt, dass er zumindest ein bisschen Bewegung bekommt. Ohne Maske darf das Haus nur verlassen, wer Sport macht - in seinem 100 Meter Radius. Unsere Nachbarin dreht auf dem Hausdach ihre Runden.


Im Mai dann die großen Öffnungen, Bars, Restaurants, sogar die Maskenpflicht draußen wird für eine Woche ausgesetzt, es gibt eine Hitzewelle.


Dann kommt der Sommer, die reguläre Hitze ist zurück, so auch die Maskenpflicht immer und überall, als Brillenträger ein ganz besonderer Spaß. Mitte August muss ich zu einem Termin nach Jerusalem - wie aufregend, öffentliche Verkehrsmittel habe ich soweit ich mich erinnern kann nur Anfang des Jahres benutzt. Mit Sonnenbrille und Maske geht's incognito durch die Hauptstadt, ich lege einen Stop bei der Kotel oder Klagemauer ein, der Platz vor der Mauer ist in 20er Grüppchen eingeteilt.



Pünktlich zu den hohen jüdischen Feiertagen im September ist wieder alles dicht, man will die typischen Feste mit der Großfamilie vermeiden. An den Abenden der Feiertage gab's komplette Ausgangssperren, die restliche Zeit über konnten wir uns immerhin 1000 Meter vom Zuhause entfernen. Was gut war, wir sind in der Zwischenzeit nämlich umgezogen und so können wir immerhin weiter unsere Gassi-Runde am Strand entlang gehen. Wassersport wurde nach einigem hin und her auch erlaubt und ich bestellte mir ein kleines Surfbrett. Überhaupt habe ich dieses beknackte Jahr wahrscheinlich nur überstanden, weil ich mit dem Meer, Schnorcheln und Paddeln die nicht mehr ganz so neue Heimat weiter entdeckt habe und wenn mir alles zu viel wurde, den Nachmittag einfach mit dem Kopf unter Wasser verbringen konnte.


Durch unseren Umzug habe ich auch noch genau den Zeitraum verpasst, zu dem Deutschland und Israel "grüne Länder" waren und ich ohne Quarantäne meine Familie hätte besuchen können. Andererseits kam auch immer der Gedanke dazu, meine Großeltern mit über 80 zu sehen, aber direkt nachdem ich in einem wahrscheinlich vollen Flugzeug saß? Es wird ja hoffentlich bald wieder sicherer.


Mittlerweile sind es fast 1,5 Jahre, dass ich nicht mehr bei meiner Familie war, der Mini-Urlaub meiner Eltern im Februar kommt mir wie ein Glückstreffer vor. Mit meinem Typ Visum kann ich zwar Israel verlassen, aber nicht mehr so einfach zurück kommen - trotz Mietvertrag, Arbeit, Familie hier und ich lese fast täglich auf Facebook von Leuten wie mir, die im Einwanderungsprozess sind, ihre Heimatländer besucht haben und dort festsitzen. In unserem Prozess können wir das Land für maximal 3 Monate im Jahr verlassen, wird es mehr, kann das Visum aufgelöst werden, die Voraussetzung ist der Hauptwohnsitz Israel.


Mitte Oktober wurde der zweiter Lockdown beendet, wir nutzen die Gelegenheit und gönnen uns 3 Tage Camping in Eilat, 10.000 Sterne, statt nur 5. Obwohl wir durch die Arbeit meines Freundes öfter mal nach Eilat "müssen" (ich kann ja zum Glück von überall aus arbeiten), fühlt es sich zum ersten Mal wieder richtig an wie Urlaub. Die Restaurants haben noch geschlossen, wir bestellen uns unsere Lieblings-Pizza an den Strand und es könnte nicht perfekter sein. Statt dem Kaffee am Morgen drehe ich direkt nach dem Aufstehen eine Runde ganz alleine, schnorchlend im Roten Meer.


Der dritte Lockdown, der Ende Dezember kam, war nichts neues mehr, ich bin schon längst an die 1000 Meter gewohnt, die ich mich aus der neuen Wohnung wegbewegen kann. Viele Nicht-Juden fliegen zu ihrer Familie nach Deutschland, ich hoffe auf Januar, meine Mutter wird 60 und vielleicht können wir ja da wieder zusammen feiern. Später stellte sich heraus, wäre ich zu diesem Zeitpunkt geflogen, würde ich jetzt fast 2 Monate später wohl immer noch in Deutschland festsitzen, zwischendurch können nur ein paar, von einem Kommitee ausgewählte Israelische Bürger einreisen, manche müssen zur Qarantäne für 2 Wochen in ein Hotel, andere können die Zeit im eigenen Zuhause absitzen, was, wie sich später herausgestellt hat, von manchen blöderweise auch ausgenutzt und nicht eingehalten wurde.


Mitte Februar dann die Benachrichtigung - auch Personen unter 35 können jetzt geimpft werden. Ich habe eine Israelische Krankenversicherung und mir so direkt den nächsten Termin besorgt, am Parkplatz des Sami Ofer Fußballstadtions in Haifa. Normalerweise läuft die Impfung ganz unspannend ab, Krankenkärtchen ablesen, Nadel rein, 15 Minuten warten, fertig. Bei mir hinkte alles schon ab Schritt 1 - ich habe keine Israelische ID und obwohl ich seit 2 Jahren zahlendes Mitglied der Versicherung bin, mir über die gleiche Nummer meinen Termin online besorgen konnte und die Bestätigung am Handy bekommen habe, werde ich nicht im System gefunden. Nach einigem hin und her tauche ich doch in der Datenbank auf und bekomme die Nadel in den Arm. Drei Wochen darauf ein zweites Mal, diesmal kommt mein Freund mit, falls es wieder irgendwelche unvorhergesehenen Probleme gibt.


Mittlerweile ist ein Jahr vergangen, die Bars und Restaurants öffnen wieder, aber als Nicht-Israeli mit Wohnsitz in Israel, israelischer Krankenversicherung, aber ohne ID-Nummer (um die wird es in anderen Blogeinträgen sicher auch noch mal gehen) ist es allerdings nicht so einfach, mein wohlverdientes "Grünes Zertifikat" auch wirklich zu bekommen. Irgendwo auf dem Weg zwischen Krankenversicherung, Ersatz-ID und Gesundheitsministerium fehlen die Verbindungen und so komme ich trotz zweifacher Impfung und den 7 Tagen Wartezeit immer noch nicht in Restaurants oder Cafés.


An Fliegen ist immer noch nicht zu denken. Und ich möchte nicht mal einen fancy Urlaub machen, ich würde nur einfach gerne mal wieder meine Familie sehen, meine Großeltern haben letzte Woche auch endlich ihre erste Impfung bekommen.


Mein einziger, klitzekleiner Trost ist jetzt, dass ich mich durch die Impfung beim Gassi gehen mit unserem Hund ein bisschen wie Super Mario fühle, wenn er den Unverwundbarkeits-Stern geschnappt hat. Nur ohne die fröhliche Hintergrundmusik.

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