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Blog

Vorher - Nachher

Das Schlimme ist, man gewöhnt sich irgendwann an den Krieg. Zumindest in den Städten, die nicht direkt am Gazastreifen liegen, beginnt das Leben langsam wieder, bei uns in Haifa haben sogar die Schulen wieder geöffnet und es gibt keine Einschränkungen wegen der Sicherheitslage. Das ist auch ein wichtiger Punkt, wir haben alle eine App der Armee auf den Handies installiert, darüber erhalten wir im Notfall auch den Alarm und es gibt viele kurze Guidelines, was im Notfall zu tun ist: Raketenalarm, Infiltrierung, unbekanntes Flugobjekt, wir sind vorbereitet. Jeweils natürlich auch davon abhängig, wo man sich befindet, zuhause, im Auto oder in öffentlichen Verkehrsmitteln.


Ich habe letzte Woche eine neue Arbeit begonnen, zum ersten Mal kein Design, und umso aufgreregter und abgelenkter bin ich jetzt vom Krieg. Und ich würde lügen, wenn ich sage, es tut nicht gut, einfach mal nicht dran zu denken. Partnerfirmen in Deutschland schicken natürlich in den Mails ihre Gedanken, aber außer einem "uns geht's gut, weil es hier im Norden verhältnismäßig ruhig ist" muss ich nicht an den Krieg denken.


Wenn man dann aber wieder dran denkt, trifft es einen umso mehr. Manche neuen Kollegen konnte ich gar nicht kennen lernen, weil sie in Reserve sind. Ich sehe Freundinnen, die es irgendwie schaffen, weiter zu machen, aber völlig fertig sind, weil ihre Männer zum letzten Mal vor über zwei Wochen zuhause waren. Das nächste Mal können sie heim kommen, wenn der Krieg vorbei ist. "Nach dem Krieg" ist das neue "Nach den Feiertagen", das eine ging einfach so in das andere über.


Das ganze Leben ist ein "Vorher - Nachher". Es gibt Kleidung, die ich noch nicht wieder getragen hab, weil ich sie an diesem Simchat Tora, dem Feiertag, an dem das Attentat den Krieg begonnen hat, an hatte. Lebensmittel, die wir schon länger gelagert hatten, kommen mir vor wie "von vor dem Krieg". Und ganz schräg fühlt es sich an, dran zu denken, wie ich Sachen wie vegane Weißwürste bei meinem letzten Besuch in Deutschland auf Vorrat gekauft habe. Was würde ich geben, die Zeit zurück zu drehen.


A propos Deutschland, vor ein paar Stunden war meine süße Nichte bei meiner Mama zu Besuch und hat mir eine Nachricht von deren Handy geschickt, dass sie hofft, es geht mir gut. Wie erklärt man Kindern, was gerade passiert? Wir haben dann kurz per Video telefoniert, ich habe ihr unsere Hunde gezeigt und ihr von den ganzen Süßigkeiten erzählt, die mein Mann als Reservist bekommen hat. Und ich hoffe einfach, dass solche kurzen Telefonate helfen, die Zeit zu überbrücken, bis ich mal wieder zu Besuch kommen kann. Ausgerechnet nach meinem letzten Besuch im September habe ich gesagt, dass ich bestimmt im Winter noch mal komme, nach immer nur kurzen Besuchen von ein paar Tagen fehlt mir meine Familie dann doch ganz schön.


In den Nachrichten wird davon geredet, dass der Krieg noch Monate dauern wird. Letzte Woche habe ich übrigens endlich die nächste Bürokratie-Hürde genommen und einen Antrag auf Aliyah, also die offizielle Einwanderung nach Israel als Jüdin, stellen können. Mein Mann ist sich sicher, dass der Antrag schneller bearbeitet wird, als dass der Krieg endet und nach meinen Erfahrungen mit dem Innenministerium und den ganzen Papieren macht mir das nicht gerade Hoffnung, dass der Krieg bald enden wird.


Zum Ende diesmal noch ein paar Fotos, ich war am letzten Wochenende am Strand schnorcheln, ausgerechnet jetzt ist das Meer so schön wie selten, aber die Ablenkung tut gut. Auf dem Weg zum Strand und zurück sieht man dann aber immer kleine Dinge, die einem klar machen, dass man immer noch mittem im Krieg steckt, so schön die Ablenkung unter Wasser sein mag.



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