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Unglück im Glück

2010, ein Jahr nach meiner ersten Israel-Reise beschlossen meine Mutter und ich das Land noch mal auf eigene Faust unsicher zu machen. Neben "staim adom yain bevakascha" (falsch für "2 Rotwein bitte") hatten wir sprachlich auch noch nicht so viel drauf, umso aufregender war es, diesmal allein mit unserem kleinen Mietauto, das wir kurzerhand Yossele getauft haben, unterwegs zu sein. Meine Mama erzählt mir noch heute, dass sie, ab dem Moment, als wir das Auto gebucht hatten, nachts wach lag und Angst hatte: vor Israelischen Fahrern und alleine ohne Navi und Telefon (es war immerhin 2010) durch ein fremdes Land im Nahen Osten zu düsen.


Bei der Autovermietung lief aber alles gut, wir hatten ja immerhin eins mit Gangschlatung gebucht und kein Automatik - sowas war damals in Deutschland auch immer noch ziemlich rar. Wir sitzen also abfahrtbereit im Auto, wollen losfahren, doch da fehlt ein Pedal! Der nette Autovermieter erklärt uns, dass man in Israel eigentlich nicht mehr mit Gangschaltung fährt, aber wenn wir drauf bestehen, können wir gern eines der älteren Modelle haben. "Umso besser", dachten wir in Gedanken an die Fahrkünste vieler Israelis.


Wir luden alle unsere Sachen um und ab ging die wilde Fahrt, die selbstgebrannte CD (auch so ein Relikt aus vergangenen Tagen) aufgedreht, auf der Autobahn nach Jerusalem. Auf halber Strecke bittet meine Mutter mich um den Labello aus ihrer Handtasche. Nur die war nirgends zu finden. Vielleicht im Kofferraum?


Je weiter wir gefahren sind, umso mehr Dinge sind uns eingefallen, die alle in ihrer einen unauffindbaren Tasche sind: Bargeld, Pässe, Handy, Kreditkarten, Flugtickets... Die Tasche war immerhin so wichtig, dass meine Mutter sie sowohl auf dem Weg zum Flughafen, als auch während dem gesamten Flug fest umgeschnallt und erst im Mietauto endlich abgelegt hat. Wir wollen richtig danach suchen und fahren die nächste Ausfahrt ab, irgendwo wird man schon anhalten können. Aber nix da - eine Straße mündet in die nächste, wir waren auf direktem Weg nach Ramle, was wir im Eifer des Gefechts mit Ramallah verwechseln. Der Blutdruck steigt.


Unsere letzte Hoffnung ist mittlerweile, dass die Tasche beim Wechsel des Autos verloren gegangen ist, sie vielleicht sogar jemand gefunden hat. Und das Mietauto nicht grade vergeben wurde und mit unserer Tasche auf dem direkten Weg an den Berg Hermon im Norden ist. Wir sind optimistisch: "Was machen wir, wenn die Tasche weg ist?" - "Darüber denken wir nach, wenn's so weit ist." Und ich seh uns schon in der Deutschen Botschaft stehen, statt im Toten Meer herum zu dümpeln. Traumurlaub!


Dann da! Ein Schild zum Flughafen - genau in der entgegengesetzten Richtung! Wir sind auf der rechten Spur von vier, befürchten aber, diesen Weg nie wieder zu finden, also brettern wir, bevor alle anderen Fahrer reagieren können, quer über die vier Spuren, wenden und werden von allen Seiten in sämtlichen Sprachen wüst beschimft. Keine halbe Stunde unterwegs, schon fährt meine Mutter wie ein waschechter Israeli!


Endlich zeichnet sich am Horizont der Tower des Ben Gurion Flughafen ab - wir sind fast wieder zurück bei der Autovermietung. Also rein, durch die Tore der Sicherheitsschranken, zwei nette Männer beschreiben uns den Weg. Wir fahren einen Kreis - und kommen vor lauter Durcheinander direkt ein zweites Mal vorbei "Hi, it's me again..." Sie nahmen es mit Humor und beschrieben uns noch ein zweites mal den Weg. Würde man mir jetzt eine Million Schekel bieten, ich wüsste nicht wo lang.


Irgendwo in der Nähe der Autovermietung trennten wir uns, meine Mutter würde derweil einen Parkplatz suchen. Ich wetzte also so schnell, wie es die Aufregung und die gut 30 Grad zuließen zum Schalter und erklärte unsere Suche nach der verlorenen Tasche. Der Mitarbeiter, der unser Auto vermietete hatte schon Feierabend, aber es wäre nicht Israel, wären die Angestellten da nicht auch noch zu erreichen. Und tatsächlich, die Spur führte mich zu dem vorherigen Auto und ich hatte endlich die Tasche wieder - und unsere Pässe, unser ganzes Geld... Nur jetzt war meine Mutter weg. "Ich ruf sie einfach schnell an" - kaum hatte ich gewählt, spüre ich schon das Handy in ihrer Tasche klingeln - in meinen Händen.


Auf der Suche nach dem Parkplatz ist meine Mama allerdings etwas zu weit gefahren und stand nun wieder in einer Auffahrt auf die Umgehungsstraße um den Flughafen. Stand, weil sie dachte, wenn sie jetzt weiter fährt, finden wir uns nie wieder. Sofort kam ein Israeli vorbei und fragte, ob sie Hilfe braucht - das muss man ihnen lassen, so direkt und forsch, wie sie manchmal sind, sind sie auch hilfsbereit. Sie erklärte ihm die Situation, der Fremde bot ihr an, bei unserem Mietauto zu warten, sodass meine Mutter zurück laufen und nach mir suchen konnte. Erst im Nachhinein wurde ihr klar, dass sie soeben alles, was sie eh noch nicht verloren hatte, einem völlig Fremden anvertraute.


Jetzt nur noch Tränen vor Lachen

Irgendwo zwischen Autovermietung und Umgehungsstraße fielen wir uns wieder in die Arme und der Fremde war glücklicherweise auch noch an unserem Auto. Wir konnten uns zum zweiten Mal auf dem Weg Richtung Jerusalem und Totes Meer machen. Wenn wir damals geahnt hätten, wie viele Reisen in dieser Mutter-Tochter-Kombi noch folgen... Reisen, weil als Urlaub konnte man das, was wir da gemacht haben wirklich nicht bezeichnen.

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