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Blog

Stolz und Angst

Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Nur, dass ich hier keine von den schrecklichen Videos teilen kann, weil mir langsam alles zu viel wird. Wer neben normalen Nachrichten auf dem laufenden bleiben will, kann unter anderem folgenden Leuten auf Instagram folgen:

Arye Sharuz-Shalicar, Adiel Cohen, Solal Fakiel, die berichten verlässlich, Arye und Adiel sind sogar selbst grade in Reserve. Aber von Anfang an.


Shabbat

Als ich in die Synagoge kommen, fragen mich Freunde und Rabbiner, wie es mir mit der Situation geht. Ähh... Ich habe morgens beim Kaffeetrinken gelesen, dass es Raketenbeschuss aus Gaza gab, aber - und das ist jetzt das schlimme - mir nichts weiter dabei gedacht, weil das ja ab und zu passiert. Gruselig, wie abgestumpft man wird, weil man "Otef Aza", die Gegend um Gaza, sowieso öfter in den Nachrichten liest. Leute fragen, ob mein Mann in die Reserve muss, aber ich mache mir keine Sorgen, mit dem regulären Reservedienst ist er mit fast 40 schon durch und verhältnismäßig alt, wieso sollten sie ihn jetzt noch rufen.

Wir tanzen mit der Tora, singen Hava Nagila, Am Israel Chai, das Volk Israel lebt und lachen, es ist Simchat Tora, der Feiertag, an dem wir das Ende der Tora lesen und den nächsten Abschnitt wieder von vorne beginnen.


Vor dem Heimweg schicke ich meiner Mama eine Whatsapp, wie besorgt alle sind, aber hoffentlich ist alles okay, wir hatten Spaß, bei uns ist alles gut. Bevor ich zum Haus komme, beschreibt sie das Ausmaß, viele Geiselnahmen und Tote. Es ist so viel schlimmer als sonst. Wie ich näher komme, sehe ich draußen auf der Wäscheleine die Uniform von meinem Mann und schicke eine Sprachnachricht, bei der's mir jetzt eiskalt den Rücken runter läuft, ich hab mich noch nie mit so viel Angst in der Stimme reden hören. Daheim versucht er mich zu beruhigen, er bereitet nur alles vor, aber trotzdem: die Frage ist, wann er gerufen wird, nicht ob. Für ihn ist das völlig natürlich, irgendjemand muss das Land verteidigen. Es gibt laut aktuellem Stand rund 400.000 Reservisten, ein leider lächerlicher Bruchteil bei 9 Millionen Einwohnern und der ständigen Situation im und um das Land herum.


Während mein Mann zum Kiosk geht, um Bier zu holen, sehe ich alleine die ersten Videos ungefiltert auf Instagram und hatte denke ich zum ersten Mal in meinem Leben eine kleine Panikattacke, zittere am ganzen Körper, kann kaum eine Nachricht schreiben, dass bei uns "alles okay" ist. Aber es ist alles furchtbar. Man sieht die Videos und die angstverzerrten Gesichter der entführten Israelis so oft, dass sie sich richtig in die Erinnerung brennen, ich fange aus dem Nichts an zu weinen, wenn ich dran denke und als ich zum ersten Mal die Liste von Leuten, die vermisst werden gesehen habe, war mir eigentlich schon längst alles zu viel.


Den ganzen Tag über schauen wir Nachrichten, ständig wird am Rand eingeblendet, wo es wieder Raketenalarm gab. Jedes Mal, wenn das Telefon von meinem Mann klingelt, springe ich auf und checke, wer es ist. Sein Bruder, seine Mutter, er erledigt Sachen, das Leben geht weiter, während meine Schwiegermutter mich am Telefon versucht zu beruhigen. Sie ist die Situation gewohnt und es ist nicht das erste Mal, dass ihr Sohn das Land verteidigen muss.


Abends gehen mir, sobald ich versuche, die Augen zuzumachen, die schrecklichen Bilder durch den Kopf und zum ersten Mal seit ich in Israel wohne sperren wir die Haustür zu und schließen alle Fenster. Klar, wir sind hier in Haifa sicher, aber der ganze Horror passiert hier im Land, ungefähr 2 Stunden Autofahrt von uns entfernt. Und ich hab mich tagsüber noch über die Polizei gewundert, die die Straße gesperrt und jedes einzelne Auto kontrolliert hat.



Sonntag

Ich wache zuerst auf, es dauert kurz, bis ich mich wieder an den ständigen Alptraum erinnere, der grade abgeht. Als erstes lese ich in den Nachrichten, dass die israelische Armee die ersten Kibbutzim gesichert und Terroristen festgenommen hat. Als mein Mann aufwacht, kurz am Handy scrollt und mir sagt, dass er natürlich während der Nacht in die Reserve gerufen wurde, dachte ich, dass ich schon jetzt keine Tränen und Kraft mehr habe, um zu weinen. Meine schlimmste Angst wird nach 7 Jahren in Israel real. Er versucht mich zu beruhigen, vor ein paar Wochen hatte er einen Auffahrunfall und ist noch nicht wieder hundertprozentig fit, außerdem gibt es so viele jüngere, besser ausgebildete Soldaten, er wäre ja wirklich nur die "Reserve". Die aber halt trotzdem jetzt gebraucht wird.


Wie natürlich er seine Sachen packt, ich helfe ihm, alles ins Auto zu tragen, verdrücke die Tränen, es fühlt sich so unwirklich an. Niemand weiß, wie lange die Situation dauert und wann er zurück kommt, aber er verspricht mir einen Abend mit einer blöden Komödie und Bier.

Als er geht und die Mezuzah an unserer Haustür küsst, frage ich noch, ob er ein Psalmbuch mitnehmen will. Ich verstehe nicht ganz was er sagt, wahrscheinlich hat er sowieso schon eins in der Tasche und ich brauche es zu meiner Beruhigung wohl dringender.


Ich winke mit einem der Hunde vom Balkon aus und weine schon wieder, nachdem er um die Ecke gebogen ist. Meine Schwiegermutter hat gestern Abend den Schmerz so genau beschrieben, seit gestern weiß ich, was sie meint, kann meine Angst um ihn aber selber nicht in Worte fassen.


Ganz alleine untätig rum sitzen ist noch mal schlimmer. Zwischen den ganzen schrecklichen Nachrichten sehe ich Posts von Magen David Adom, dem israelischen Pendant zum Roten Kreuz, dass Blutspenden gebraucht werden. Wie gut, dass meine Blutgruppe eine von den Negativen ist und ich irgendwas tun kann! Im Bus zu Mada (kurz für Magen David Adom) schaue ich dann in die Gesichter der anderen, manche weinen wie ich leise und unter der Sonnenbrille, alle ist still, das Radio läuft. Neben mir sitzt ein Senior mit Kippa und Stock und ich frage mich, wie oft er diese Situation wohl schon durchgemacht hat. Die Atmosphäre diese Tage ist so unvorstellbar, selbst hier wo die Sonne scheint, Vögel zwitschern und bei uns in Haifa alles bisher sicher ist, liegt was in der Luft.


Bei Mada angekommen sitzen schon gut 30 Spender, alles geht langsam los, die Sanitäter sind überrascht, dass die Leute schon so früh kommen, es ist kurz nach halb 11, um 12 sollte es eigentlich erst los gehen. Die Wartehalle füllt sich schnell, alles geht für israelische Verhältnisse ruhig und sortiert vor sich, Leute scrollen am Handy durch Nachrichten und lesen Psalme. Bei den Ansprachen Applaus für die Sanitäter, sie berichten, dass es am Vortag schon über 3000 Spender gab, aber alles wird gebraucht. Ich dachte in den letzten Jahren schon oft "jetzt bin ich endgültig angekommen" aber so israelisch wie gestern habe ich mich bis jetzt noch nie gefühlt. Alle im Raum haben die gleichen Ängste und Sorgen, Verwandte und Freunde in der Armee oder in Gefahr und keinen interessiert es, ob jemand "Said" oder "Goldberg" heißt.


Nach meiner Blutspende bin ich stolz, zumindest etwas tun zu können, als ich mich durchringe irgendwas zu essen, damit der Kreislauf nicht schlapp macht, ist es auf einmal fast Abend, aus dem "kurz mal Nachrichten beantworten, wie's uns geht" wurden Studen am Handy. Den ganzen Tag schon beantworte ich Nachrichten, wie's uns geht (Gut, aber eigentlich gar nicht.), ob er in Reserve muss (Ja, aber hoffen wir, dass er nicht in Gaza bleiben muss, wegen dem Alter und und und...) und ob ich klar komme, oder etwas brauche (Klar komm ich nicht, aber ich hab meine israelische Familie ganz in der Nähe).


Die Stille zuhause tut mir nicht gut und ich verbringe den Abend mit meiner Schwiegermutti, Bier und Sex and the City im Hintergrund. Aber ich habe keine Ahnung, worum es in den neuen Folgen eigentlich geht, wir reden nur über meinen Mann und unsere Sorgen. Meine größte Angst ist, einen Anruf von einer unbekannten Nummer zu bekommen und dass ihm etwas passier ist. "Du weißt, wem du das grade erzählst?" fragt meine Schwiegermama. Und zum ersten mal versteht sie Bedenken, hier Kinder zu kriegen und groß zu ziehen, die später auch unser Land verteidigen müssen.


Nachts, als ich heim komme und alles still wird, kommt wieder die Panik auf und obwohl uns in Haifa gar niemand direkt bedroht, will ich nicht, dass man von draußen sieht, dass ich allein zuhause bin. Es ist stickig, aber ich lasse alle Fenster zu, ein kleines Licht an und rufe wieder meine Schwiegermutti an. Die ganzen Nachrichten in Whatsapp-Gruppen helfen nicht, alle scheinen ihren Bunker vorzubereiten, mit Essen, Getränken, Erste Hilfe-Kit. Unser Haus ist so alt, wir haben keinen Bunker, unser Bunker-Ersatz ist der kleine Flur zu Treppenhaus hin. Also stelle ich dort eine Flasche Wasser neben das Klopapier, das sowieso dort lagert und suche eine Taschenlampe für den Fall, dass wir einen Stromausfall haben.

Dann endlich ruft mein Mann an, er hat zeit, wir telefonieren fast eine Stunde, ich weine während er spricht und sagt, dass er in der Base übernachten und am nächsten Tag mit dem Basic-Training anfangen wird und versucht mich zu beruhigen. Er schickt ein Video, in dem seine religiösen Kameraden singen, beten und tanzen, alle stimmen ein und es ist einfach gut zu sehen, wie die, die uns beschützen, die Hoffnung nicht verlieren. Irgendwann schlaf ich dank Baldrian und Lavendeltropfen ein.



Montag

Wieder das gleiche, aufwachen und merken, dass die Situation noch genauso furchtbar ist wie am Tag zuvor. Das Bett neben mir ist leer, dafür liegen die Hunde nah bei mir auf dem Schlafzimmerboden, noch ganz müde, es war eine kurze Nacht. Trotz, dass mir dauernd wieder Tränen kommen, nehme ich mir heute vor, zu tun, was mein Mann mir geraten hat und versuche mich zu beruhigen, mich um mich zu kümmern, keine Instagram-Videos anzuschauen und so gut wie möglich den Laden am Laufen zu halten. Damit ist wohl meine mentale Gesundheit gemeint.


Ich gehe mit den Hunden auf einen langen Spaziergang am Strand und alles was ich denke ist, wo wir wohl Unterschlupf finden, falls ein Alarm los geht. Wir hätten in Haifa 40-50 Sekunden Zeit uns in Sicherheit zu bringen. Ob die Hunde und der ältere mit seinen 15 Jahren das so schnell checken ist die andere Frage. Gefühlt jede zweite Sprachnachricht, die ich meiner Mama schicke endet mit Tränen, sogar als ich mit Kunden telefoniere, muss ich anfangen zu weinen, weil alle Familie und Freunde in der Reserve haben und sich Sorgen machen.


Ich habe mir vorgenommen, zu arbeiten, mache mir aber einfach nur Gedanken vom Schreibtisch aus. Ständig rufen Leute an und fragen, wie es geht, erzählen von ihren Sorgen. Meine Rabbiner und die Synagogen-Gemeinschaft plant für heute Abend ein Treffen über Zoom, einfach um Gedanken auszutauschen und nicht allein zu sein. Wir haben ein paar Olim unter uns, es ist nicht nur mein erster Krieg.


Jetzt ist durch das Schreiben und viele Nachdenken immerhin ein bisschen Zeit vergangen, ich sehe jetzt schon, wie gut es tut, für ein paar Stunden keine Nachrichten zu schauen. Die Jets fliegen weiterhin über uns, ab und zu hört man Hubschrauber, die zum Rambam Krankenhaus in unserer Nähe fliegen. Falls ihr an was auch immer glaubt, betet bitte, dass dieser Alptraum bald vorbei geht, oder drückt die Daumen glaubt an die Gerechtigkeit, dass wir bald wider einfach ruhig leben können...

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