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Blog

Stille und Chaos

Es liegt wieder ein Shabbat hinter mir, der sehr, sehr nötig war. Einfach abschalten, im wahrsten Sinne des Wortes. Ich werde ab jetzt wohl weniger in einzelnen Tagen schreiben, sondern Gedanken sammeln, die ich diese Woche für wichtig halte.


Wir können bin in den Libanon schauen, bei dem Gebirge im Hintergrund liegt direkt die Grenze

Am Freitag Abend war ich zum ersten Mal seit Simchat Tora und dem Morgen der Attentate in der Synagoge. Es war gleichzeitig schön und schwierig: endlich Freunde umarmen, ihnen dabei aber sagen, wie sehr man hofft, dass ihre Männer bald aus der Armee zurück kommen. Die schönen Shabbat-Lieder zu singen, aber in einer langsameren, zwar festlichen aber in diesen Tagen traurigen Melodie. Vor dem Segen für alle Soldaten, die unser Land beschützen konnte jeder laut Namen sagen und ich habe direkt mehr als die Hälfte vergessen. Es gibt so viele Freunde, Bekannte, Kollegen, die jetzt in der Reserve sind und ich kann mich wirklich glücklich schätzen, dass mein Mann mit seinem Bandscheibenvorfall von der Armee zurück nach Hause geschickt wurde.


Nach dem Gottesdienst kam dann mein persönlicher Endgegner, ich habe vorher schon mit Tränen gekämpft, aber die Hatikva, unsere Nationalhymne, kriegt mich jedes mal.


Solange noch im Herzen eine jüdische Seele wohnt und nach Osten hin, vorwärts, ein Auge nach Zion blickt, so lange ist unsere Hoffnung nicht verloren, die Hoffnung, zweitausend Jahre alt, ein freies Volk zu sein, in unserem Land, im Lande Zion und in Jerusalem!

So hoffnungsvoll wie in der Hymne geht es weiter. Gerade habe ich gesehen, dass eine Gruppe riesige Lautsprecher in Richtung Gaza aufgestellt hat und alle Namen der Geiseln vorliest, damit diese wissen, dass sie nicht vergessen wurden. Musiker fahren in die Bases und treten für die Soldaten auf, die meisten sind gerade im Auffrischungs-Training und warten auf ihren Einsatz.


Auf Tiktok bin ich mittlerweile in einer Reservisten-Bubble gelandet: Freunde stellen ihre Kumpels vor wie auf einer Partnerbörse, man lässt den typischen Kriegs-Schnauzer stehen, nur um dann kurz darauf zu erfahren, dass man einen Tag zuhause verbringen kann und das schönste überhaupt: Väter kommen zu Besuch heim zu ihren Familien.


 

Andererseits werden täglich mehr Kibbutzim aufgeräumt und Tote geborgen, bei denen nicht klar war, ob sie ermordet oder als Geisel nach Gaza entführt wurden. Stand Montag Mittag sind es mindestens 222 Geiseln, über 5000 Verletzte und über 1400 Tote. 21 Kinder sind verwaist, manche davon als Geiseln in Gaza.


Jetzt hört man auch viele Angehörige der Geiseln im Fernsehen, die vom letzten Kontakt mit ihren Lieben erzählen. Ein Sohn erreicht seine Mutter per Telefon während er flieht, im Hintergrund hört man Schüsse und Chaos, Schreie auf arabisch, die Schwester kann ihm noch zurufen, den Live-Standort auf Whatsapp anzuzeigen. Als das Telefonat abbricht, dent seine Mutter, er hat sich bestimmt verfahren: sie sieht, wie der Punkt auf der Karte langsam die Grenze nach Gaza überquert.


Nach, oder besser gesagt während den Nachrichten werden immer Gedenktafeln eingeblendet, jeden Tag um die 20 Menschen, weil alle auf einmal zu viele würden. Mein Mann fragt, ob er nach den schlimmen Geschichten den Fernseher ausschalten soll, aber gerade jetzt will ich jeden einzelnen sehen, so viele wie möglich. Nach ein paar Tagen versuchen, nichts an mich ran zu lassen und Kraft zu sparen, kann ich wieder weinen. Ich bin zwar so fertig, müde und habe Angst, aber andererseits gibt es Familien, denen es gerade so viel schlechter geht!


 

Ich will den Blogeintrag ungern mit negativen Gedanken abschließen, das wäre einerseits untypisch für mich und andererseits für unser Volk... Es wird weiter gehen, die Leute halten zusammen, jeden Tag hört man zwischen den schrecklichen Geschichten aus die von Helden, egal ob jüdischer Israeli oder arabische Beduinen, die in der Nähe waren, Rettungstruppen bergen in den Kibbutzim Hunde, jedes Leben wird geschätzt. Und zwei amerikanische Geiseln wurden am Wochenende freigelassen, auf dass die anderen 220 auch bald zurück nach Hause kommen!


Und noch etwas in eigener Sache:

Ich durfte am Donnerstag noch einmal mit TV Oberfranken sprechen, ein kleines Update geben und meine Gedanken zur Situation im Libanon mitteilen. Hier der neue Beitrag. Außerdem wurde mein Leserbrief von Montag, kurz nach Kriegsbeginn in der Tageszeitung meiner Eltern veröffentlicht.


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