Der Winter ist nicht meine Jahreszeit. Er ist ungemütlich, nasskalt und die Straßen sind oft so glatt, dass es gefährlich wird. Dem Wintersport habe ich abgeschworen, seit ich mich in der siebten Klasse aus dem Skilager in Österreich habe abholen lassen und die freie Woche stattdessen bei meiner Cousine verbracht habe. Kurz gesagt: für jemanden wie mich ist Israel mit seinen heißen Sommern und wunderschönen Stränden das Paradies auf Erden! Und tatsächlich habe ich seit mehr als 4 Jahren keinen echten Schnee mehr gesehen - ausgenommen von Weitem, den Berg Hermon, während ich im letzten Februar auf dem Surfbrett durch's Meer gepaddelt bin.
Jeden Winter, wenn im Wetterbericht über eben jenen Berg Hermon berichtet wird und die Menschenmassen und Skifahrer im Fernsehen gezeigt werden, denke ich trotzdem "Mal so für einen Tag den Schnee wieder sehen wäre vielleicht doch ganz schön..." - ein Spaziergang mit den Hunden und danach wieder ab nach Hause in's Warme reichen mir schon. Aber diese Menge an Leuten? Wir brauchen ein Alternativprogramm!
Und so haben wir uns den letzten Donnerstag frei genommen - das halbe Land ist in Quarantäne und der Lift am Hermon ist wegen der schlechten Wetterbedingungen geschlossen, das ist unsere Chance, auch einmal in Richtung Norden zu düsen. Schon von weitem sehen wir den schneebedeckten Hermon und die ehemaligen Vulkane Bental und Avital. Und es sieht so schön aus! Werden der Winter und ich am Ende vielleicht doch noch Freunde?
Kurz hinter Katzrin, auf den Golanhöhen stauen sich die Autos an einer Kreuzung, wir reihen uns ein und erst, als nach und nach alle Autos mit Kindern wieder umdrehen und die Erwachsenen, die nicht länger warten wollen am Seitenstreifen halten und jetzt schon im Schneematsch spielen, merken wir: das dauert länger. Im Radio wird durchgesagt, dass wegen dem schlechten Wetter eine ganze Liste an Straßen gesperrt ist - unter anderem die, auf die wir in 200 Metern abbiegen wollten. Mir brennt währendessen die Sonne durch die Fensterscheibe auf's Gesicht, das können die doch nicht ernst meinen? Und überhaupt: Kinder an einem Wochentag, Vormittags im Auto auf dem Weg ins Winterparadies? Wir hoffen inständig, dass diese Familien nicht eigentlich gerade in Quarantäne sein müssten.
Eine Frau ruft durch den Spalt am Fenster, dass die Polizei die Straßen um 10:30 Uhr öffnen will - in 40 Minuten. Ok, jetzt haben wir mit unseren 20 Minuten eh schon so lange gewartet und ich will doch nur unsere Hunde im Schnee spielen sehen! Die Entscheidung, vielleicht doch umzukehren wird uns aber genommen, als neben uns die entgegengesetzte Fahrspur auf einmal auch genutzt wird, um sich irgendwie in Richtung Polizeisperre zu quetschen. Niemand kommt hier gerade mehr in die andere Richtung durch. Was folgt ist ein Straßenkampf, wie er nur in Israel stattfinden könnte. Ganz schlaue Autofahrer brettern quer über die Verkehrsinsel an dem Polizisten vorbei - er versucht alleine, das Chaos in Schacht zu halten, später kommen noch zwei Soldaten zur Verstärkung dazu und im Nachhinein tut er mir ganz schön leid, alleine so eine Meute schneehungriger Verrückter in Schacht halten zu müssen, von denen sich jeder für etwas zu wichtig hält, um wie alle anderen Menschen in der Reihe zu warten.
Als die Straße um kurz vor 11 freigegeben wird, haben sich die ursprünglichen zwei Spuren in sieben verwandelt, alle wollen durch und alle gleichzeitig. Das Auto vor uns wurde zwei mal von einem Kleinbus erwischt, aber mehr als entschuldigend winken ist nicht drin. Dass zwischen den ganzen Wagen immer noch vereinzelt Menschen laufen, deren Autos irgendwo im Stau fahrerlos stehen, interessiert die Leute nicht mehr. Sie brauchen Schnee, Schnee, Schnee! Ich versuche, mir meine schlechte Laune nicht anmerken zu lassen und ordne an, dass wir ab sofort Spaß haben werden - weil nochmal fahre ich im Winter sicher nicht zum Hermon!
Jetzt wird auch langsam klar, wieso die Straße so lange gesperrt war, in den schattigen Stellen ist die Straße voller Schneematsch, in Detuschland kein Problem, aber hier gibt's keine Winterreifen und bei diesen Fahrkünsten... Ist wohl besser so. Wir werfen einen Blick auf's schneebedeckte Syrien und schlängeln uns durch ein Drusendorf nach dem anderen, bis hoch nach Majdal Shams, dem höchstgelegenen Ort in Israel.
Weil das Skigebiet gesperrt ist, suchen sich alle Hermon-Urlauber nahe der Straße andere Orte zum Fotos schießen, wir fahren weiter bis Neve Ativ. Wir finden nach unserer kleinen Odyssee ein ruhiges Fleckchen und dort dürfen dann auch endlich die Hunde in den Schnee - sie sind begeistert! Mir ist alles irgendwie unwirklich, sind wir gerade wirklich in Israel? Neve Ativ sieht aus wie ein deutsches Bilderbuch-Dorf in den Bergen, am Ortseingang stehen Ski und ein Schneemann bereit. Nach einem kleinen Spaziergang und ein paar Fotos war's das auch schon, ich bin nicht mehr die einzige in der Familie, die mit Kälte und Schnee nichts anfangen kann und wir fahren wieder.
Als wir uns den Berg hinab schlängeln, melden die Radio-Nachrichten, dass für morgen an die zehntausend Besucher auf dem Berg Hermon erwartet werden und bitte nur kommen soll, wer Karten im Vorverkauf bestellt hat, damit wirklich alle zahlenden Gäste zum Skilift kommen. Wir ahnen, dass das nicht funktionieren und wieder in einem riesigen Chaos enden wird und sind froh, dass wir heute hier waren. Und ich den Winter in Israel einmal richtig erlebt habe - den Hermon überlasse jetzt lieber den Wintersportlern.
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