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Purim auf Deutsch

Wer schon mal im Februar oder März in Israel war, weiß bescheid und wundert sich schon gar nicht mehr, wenn ein erwachsener Mann mit Babylätzchen und Schnuller auf einem Elektroroller vorbei düst: Es ist Purim! Obwohl man sich an dem jüdischen Feiertag auch verkleidet, ist es aber Zufall, dass er so nah am deutschen Fasching liegt. Der Grund für die Parties und Kostüme ist die Geschichte aus der Megilat Esther (der Schriftrolle Esther). Der böse Haman - und hier folgt in der Synagoge ein ohrenbetäubender Lärm, denn man soll sich nicht an ihn erinnern - versuchte, alle Juden im persischen Reich zu vernichten. Der Tag der Vernichtung wurde ausgelost und fiel auf den 13. Adar, daher der Name, ein Pur ist auf Hebräisch ein Los. Haman hatte die Rechnung aber nicht mit Königin Esther gemacht, die selbst Jüdin war und den König daran erinnerte, wie ihr Cousin Mordechai diesem in der Vergangenheit das Leben rettete und somit den Spieß umdrehte - wer die Geschichte genauer hören will, liest einfach direkt nach meinem Blogeintrag das Buch Esther. :)


Ich habe Purim zum letzten Mal vor gut 10 Jahren gefeiert, als ich mit meiner Mutter im Urlaub in Israel war. Von der biblischen Geschichte hatten wir damals nicht allzu viel Ahnung, wir wussten immerhin von den Verkleidungen und, dass man so viel trinken soll, bis man den bösen Haman nicht mehr vom guten Mordechai unterscheiden konnte. Herausforderung angenommen. Mittlerweile bin ich aber nicht mehr Anfang 20, mein Mann machte sich noch nie viel aus Verkleidungen und so haben wir diese Woche nach 5 Jahren Zusammenleben zum ersten Mal gemeinsam Purim gefeiert! Beim letzten Shabbat in der Synagoge wurde ich sogar gefragt, ob ich einen Teil der Megilat Esther auf Deutsch lesen könnte, zusammen mit anderen internationalen Gemeindemitgliedern, jeder liest in seiner Muttersprache. Was für eine Ehre, ich sage natürlich zu. Wer hätte gedacht, dass ich mal aus meiner kleinen, deutschen Bibel, die mir meine Oma zur Konfirmation geschenkt hat, in einer Synagoge vorlesen würde?


Mein Kostüm dieses Jahr geht "back to the roots": ich bin am Purim-Abend eine typisch deutsche Touristin, die zum ersten Mal Israel besucht. Weiße Socken in Sandalen, neben mein Handy habe ich in meiner Gürteltasche natürlich noch einen Faltplan von Jerusalem. Auf dem Rücken habe ich meinen Rucksack mit eingebauter Trinkflasche fest gezurrt und bin bereit, die Altstadt zu erkunden. Mein Mann und Verkleidungsmuffel geht heute als Oren Zarif, ein israelischer Wunderheiler, den ich zwar nur von Fotos kenne, ihm aber selbst da nicht ganz über den Weg traue. Er trägt seine langen, schwarzen Haare offen, darunter eint etwas zu weit ausgeschnittenes weißes Hemd - es kann so einfach sein!



Nach dem schönen Abend in der Synagoge verläuft mein Purim-Tag ganz anders: ich muss morgens viel zu früh aufstehen, um eine Biopsie an meinem Bein nehmen zu lassen und hoffe inständig, dass der Chirurg nicht nur an Purim ein Arzt ist. Aber ich muss jetzt mal eine Lanze für israelische Ärzte brechen. So knallhart und direkt, wie Israelis sonst sind, so einfühlsam können sie mich trösten, ich habe nämlich selbst vor kleinen Eingriffen richtig viel Respekt. Ich war schon nach nur 15 Minuten fertig, Pflaster drauf und tschüss... Aber, halt! Ich muss im Anfangsgespräch wohl etwas überhört haben. Ich soll einen Termin vereinbaren, um Fäden ziehen zu lassen. Bitte was? Es ist so groß, dass es genäht werden musste? Na gottseidank hab ich das vorher nicht richtig verstanden! Trotz der kleinen Sprach-Hindernisse blicke ich im israelischen Gesundheits-Dschungel mittlerweile durch und kann direkt über eine App den Termin buchen. Während ich sowieso schon erleichtert und fröhlich bin, weil alles so gut gelaufen ist, erwähnt ein anderer Kunde, dass der Apotheker, der vor mir steht Deutsch spricht. Ich muss zwar schnell nach Hause, weil ich im Eifer des Gefechts meinen Schlüssel vergessen habe und mein Mann auf mich warten und mir aufmachen muss, aber für eine kleine Unterhaltung ist immer Zeit. Ich weiß gar nicht, wer sich mehr gefreut hat, mal wieder Deutsch zu sprechen! Wie gern hätte ich jetzt mein Kostüm vom Vorabend an!


 

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