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Lasst uns endlich trauern!

Ich habe keine Kraft mehr. Es ist jetzt über sechs Wochen her, dass die Hamas unser Volk massakriert hat und alles was wir seit sechs Wochen machen ist, uns zu rechtfertigen. Seit sechs Wochen haben wir keine Pause, um uns endlich mal um uns zu selbst kümmern und die trauernden Familien zu trösten. Und das ist noch jammern auf hohem Niveau, in Haifa geht es uns immerhin relativ gut, wir sind weit von Gaza entfernt und immer noch weit genug von der Grenze zum Libanon. Wir sind persönlich doch gar nicht betroffen, könnte man meinen.


Letzte Woche wurde eine Tote identifiziert, die wir einmal vor ein paar Jahren kennen gelernt haben. Sie hatte sich immer für Frieden eingesetzt, hat selbst in einem der Kibbutzim um Gaza gewohnt. Auf einem Wochenendausflug sind mein Mann und ich auf eine Gruppe Kibbutznikim außerhalb von Be'eri getroffen, die einmal in der Woche zusammen sitzt, an bessere Zeiten denkt, als man noch in Gaza ein und aus gehen konnte, die Hoffnung nicht aufgegeben hat, dass es Frieden geben wird. Es hat sechs Wochen gedauert, ihre Leiche zu identifizieren.


Gerade hatte ich eine Stunde Gruppentherapie, die Gottseidank von unterschiedlichen Organisationen in Israel angeboten werden. Die Stunde begann damit, dass die Therapeutin erst mal in den Bunker musste, weil es in ihrer Region um Tel Aviv schon wieder Alarm gibt. Wie fast jeden Abend um ungefähr die gleiche Zeit. Als sie zurück ist, haben wir alle die gleichen Sorgen: Wieso müssen wir uns rechtfertigen? Vor Fremden und noch schlimmer vor unseren eigenen Freunden? Freunde, die sich langsam anfangen für das Thema zu interessieren, aber nicht mal unsere Nachbarländer nennen könnten, die uns gerade gleichzeitig zum Krieg in Gaza angreifen.


Ich habe keine Kraft mehr, das Sprachrohr für meine Kontakte in Deutschland zu sein und Fakten zu teilen. Jeden Tag findet unsere Armee mehr Raketen in Kinderzimmern in Gaza, Terrortunnel, die zufällig alle in der Gegend um das Al Shifa Krankenhaus enden, Schnuller und Babyflaschen neben Munition. Wen interessiert das überhaupt noch? Außer von jüdischen Freunden, oder Freunden, die ab und zu nach Israel reisen und dadurch einen Bezug haben, höre ich kaum Beileid. Kein "Willst du reden?", kein "Es tut mir leid.", kein "Wir denken an euch." Wieso auch, die besagten Personen haben sich ja vor sechs Wochen erkundigt, ob es uns gut geht und dabei ist gemeint, ob wir unverletzt und am Leben sind.


Wieso können Menschen, die gerade ihre Kinder umarmt haben, weil sie sicher zuhause im Bett liegen, Menschen, die nicht bei jedem knallenden Auspuff und quietschenden Reifen zusammenzucken, weil sie an Schüsse und Alarme denken, Menschen, die sich keine Gedanken darüber machen müssen, wie viele Kilometer oder Sekunden, um in den Bunker zu laufen, sie von der Grenze zum Nachbarland weg wohnen, sich einmal zusammenreißen und sich ihre teils frech-provokanten Fragen einfach sparen? Aber wie soll man sich in einem Land wie Deutschland, mit den Nachbarländern Deutschlands in unsere Situation hineinversetzen? Mann kann niemandem, der keinen Krieg erlebt hat erklären, wie Krieg ist. Aber statt Empathie oder wenigstens Verständnis zu zeigen, wird infrage gestellt und um Antwort gebeten.


Dabei wollen und müssen wir Israelis uns jetzt gegenseitig aufbauen, unterstützen und Zeit geben. Die Unterstützung, die vom Rest der Welt fehlt, geben wir uns gegenseitig. Und vielleicht habe ich nach dem Krieg auch wieder Kraft, Sachlagen beweisen und extra-schwammig-formulierte Zeitungstitel zu korrigieren. Aber gerade ist einfach nicht die richtige Zeit dafür. Jetzt müssen wir uns erst mal um uns selbst kümmern.

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