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Die Reise, die mein Leben verändert hat

Es ist der 21. Februar 2009, meine Mutter und ich sind in aller Herrgottsfrühe auf dem Weg nach München zum Flughafen. Aus dem Buslautsprecher, der ausgerechnet direkt über uns angebracht ist, trällert fröhliche Volksmusik. Bayern zieht das Programm kurz vor Abreise wirklich komplett durch. Anstatt wie alle anderen Mitreisenden noch etwas Schlaf nachzuholen, wippen wir schon fröhlich mit im Takt. Die anderen Teilnehmern unserer Reise sind exakt die Mischung, wie man sich eine Gruppe Touristen nach Israel vorstellt: Reiselustige Ehepaare über 50, bibelfeste Senioren, die sich den Wunsch erfüllt haben, endlich einmal ins Heilige Land zu reisen und natürlich ein Pfarrer mit einigen seiner Schäfchen. Ich bin mit meinen 18 Jahren die mit Abstand jüngste Teilnehmerin.


Super-Tourist!

Im Münchner Flughafen werden wir an einen extra Terminal gebracht, wir Israelurlauber sind die VIPs. Allerdings läuft die Sicherheitsbefragung ganz un-promi like ab. Meine Mutter hat Erfahrung mit den Fragen, ich bin froh, dass wir zusammen reisen und sie übernimmt. Ja, es ist meine erste Reise nach Israel. Nein, wir waren noch nie in anderen Ländern im Nahen Osten. Ja, wir haben alle unsere Taschen selbst gepackt. Nein, ich habe keinen Sprengstoff dabei.


Als die ganze Reisegruppe als ungefährlich eingestuft wurde und sich am Gate niederlassen durfte, erzählten alle reihum, was sie an Israel am meisten fasziniert und auf welchen Ort sie sich freuen: Archäologie, Geschichte, Religion. Ich bin an der Reihe und antworte „Das Tote Meer!“ - Gelächter. Ich erinnere mich zurück und das Salzmeer war für mich wirklich schon als Kind immer das Faszinierendste an den Reise-Erzählungen meiner Mutter. Wie kann es sein, dass man so schwerelos auf dem Wasser treibt, wie der Korken einer Weinflasche? Ich denke immer noch, dass es bestimmt nicht sooo toll sein kann, wie alle erzählen, aber will mich jetzt selbst davon überzeugen und auf dem Toten Meer schweben.


Der Flug nach Tel Aviv verging sprichwörtlich wie im Flug, etwa eine halbe Stunde vor Landung wurde es spannend, wir befliegen Israelischen Luftraum, ab sofort muss jeder Passagier auf seinem Platz sitzen, Israel hat sicherheitstechnisch den wahrscheinlich längsten Landeanflug der Welt. Der schönste Moment an jedem Flug nach Israel ist es für mich auch heute noch, wenn man nach Stunden über dem Meer endlich Land entdeckt. Gefühlt reicht mein Blick bis nach Gaza, mir fällt es schwer, vorzustellen, wieviel Krieg es in einem so kleinen Land geben kann. Der Landeanflug auf den Ben Gurion Flughafen reißt mich aus meinen Gedanken, ich sehe viele Palmen und Sand, aber auch viel Grün und viele Autobahnen und weiß gar nicht, wie ich mir Israel eigentlich vorgestellt habe. Die Ortsnamen kenne ich noch vom Kindergottesdienst. Meine Mutter erzählte mir immer, wie überrascht sie bei ihrer ersten Reise war, dass Israel so modern ist und ganz anders, als sie es sich aus biblischen Geschichten vorgestellt hat. Allerdings sind seitdem auch locker 2000 Jahre vergangen, das Land hatte viel Zeit, sich zu verwandeln.


Wir gehen durch die Passkontrolle und ich bekomme meinen ersten Israel-Stempel in meinen Pass. Auf dem Weg zu unserem Reisebus spüre ich kurz die warmen Sonnenstrahlen - blauer Himmel, blühende Blumen, so habe ich mir das Israelische Wetter im Februar vorgestellt und werde nicht enttäuscht. Doch bis es sich die ganze Reisegruppe im Bus bequem gemacht hat und wir die Hügel in Richtung Jerusalem erklimmen schlägt das Wetter um, graue Wolken begleiten uns und als wir in Jerusalem ankommen begrüßt uns ein richtig fetter Regenschauer. Es ist Shabbat, unsere Zimmer sind noch nicht fertig und so fallen wir nach einer kurzen, verregneten Stadtrundfahrt etwas später als geplant über das Buffet her. Als Vegetarierin war Israel direkt mein Wunderland und ich schaufelte mir meinen Teller voller verschiedenster Salate. Vielleicht habe ich mich überfressen, denn als meine Mutter und ich später kurz vorm Einschlafen waren, dachte ich, ein orthodoxer Jude steht bei uns im Zimmer, mit seinem Hut und seinem langen Mantel. Es war nur die Garderobe, aber Jerusalem hinterlässt jetzt schon seine Spuren.


Jerusalem


Typisch Rundreise werden wir früh morgens beim Frühstück erwartet, wir wollen heute immerhin Jerusalem entdecken und brauchen die Zeit. Unser Tag beginnt auf dem Ölberg, der kalte Wind weckt mich richtig auf und ich hoffe, dass es uns den Tag in der Altstadt nicht so verregnet wie den letzten Abend. Sehr deutsch, ausgerüstet mit Windjacke, Hand- und Wanderschuhen bewegen wir uns auf das erste Highlight zu, den Tempelberg. In den Felsendom dürfen leider nur Muslime, also machen wir es uns auf den Treppen draußen gemütlich, eine kurze Pause bei so vielen Schritten und so viel Informationen. Es wäre nicht Israel, würden wir nicht direkt angesprochen werden: Woher kommt ihr? Was macht ihr? Wie lang bleibt ihr? Genug Informationen, um mir direkt einen Heiratsantrag zu machen.


Kurz vor dem Heiratsantrag | ...und kurz vor meinem ersten Humus | In meinem zukünftigen Zuhause: Haifa


Unser Reiseleiter führt uns durch die engen Gassen der Altstadt, von links und rechts wird uns Schmuck angepriesen, jeder hat den besten Preis. In dem Gewimmel steht auf einmal wieder mein möglicher zukünftiger Bräutigam vor uns. Wir verquatschen uns, machen Fotos fürs Urlaubsalbum und als er von dannen zieht stehen wir ohne Gruppe da. Schnell hinterher, doch der Weg gabelt sich - einmal geht es nach links in Richtung der Grabeskirche, ein gutes Indiz, dass es unsere christliche Reisegruppe dort hin verschlagen hat, doch es geht in Treppenstufen nach oben, so schnell kommen die Älteren sicher nicht voran. Der zweite Weg führt gerade aus in Richtung Damaskustor, wir sprinten, unterschätzen, wie klein die Altstadt ist und als wir am Stadttor ankommen ist weit und breit von unserer Gruppe nichts zu sehen. Langsam gehen wir suchend zurück und wieder, es könnte wieder nicht anders sein, werden wir angesprochen, ob wir Hilfe brauchen. Oh ja! Unsere Gruppe wollte Mittagessen gehen und da sie nicht im Restaurant nebenan waren, kombinierte unser Helfer, dass sie im zweiten großen Touri-Laden in der Altstadt sein müssen und führte uns hin. Und da sitzen sie, direkt an der Abzweigung, an der wir sie verloren haben. Wir als Nachzügler bekommen so unsere eigene Schale Humus und Salate, so viele, bis der Tisch vollbepackt ist. Es ist der erste Humus meines Lebens und ich esse natürlich viel zu viel davon. Der volle Magen und die Kälte geben uns den Rest, wir taumeln zur Grabeskirche und später im Bus verschläft ein Teil der Mitreisenden fast den Stop an der Knesset, dem Israelischen Parlament.


 

Unser Bus verlässt Jerusalem und fährt an der Küste entlang zum Carmel-Gebirge, was ich damals vor lauter Vorfreude auf die Leckereien immer als Karamell-Gebirge bezeichnet habe. Eine Drusen-Familie lädt zum Mittagessen ein, jetzt bin ich es, die Heiratspläne schmiedet, diese Söhne! Später lernen wir mehr über Drusen und erfahren aber, dass es in der kleinen Religionsgemeinschaft nur inner-religiöse Hochzeiten gibt und man gar nicht zum Drusentum konvertieren kann. Mein Drusen-Fieber verfliegt dann aber auch abends, als wir mit Israelis in der Kibbutz-eigenen Bar irgendwo in den Golanhöhen sitzen.

Unser Reiseleiter erklärt, wie nah wir gerade eigentlich am Libanon und an Syrien sind, aber ich kann mir das alles gerade gar nicht so vorstellen. Nur durch das Blinken der Grenzanlage in der Abenddämmerung nehme ich wahr, wo wir eigentlich gerade sind.


Das Tote Meer

Später (während einem Sandsturm) gab's dann das typische Foto im Toten Meer

Am nächsten Tag, nach einer unendlich langen Reise vom Golan, per Boot über den See Genezareth und den Jordan entlang sollte dann endlich mein Highlight folgen: ein Bad im Toten Meer. Es ist schon spät abends, als meine Mutter und ich uns zum Strand aufmachen. Baden ist eigentlich schon längst verboten, weil es, wenn man versucht, wie in einem normalen Meer zu schwimmen sogar lebensgefährlich sein kann. Aber ich habe jetzt lang genug gewartet, denke mir „ich bin ja nicht blöd“ und tapse vorsichtig in das ölige Wasser. Ich setze mich langsam und schwupp, schweben erst meine Beine und als ich mich zurücklehne mein ganzer Körper. Wie in der Werbung! Die klassischen Fotos mit Zeitung, im Toten Meer schwebend können wir gerade aber nicht machen, es ist mittlerweile stockdunkel. So dümpeln wir ganz alleine durch das ölige Salzwasser, bis wir zwei Gestalten am Strand entdecken. Schnell raus, dass uns keiner sieht! Aus unserem Versteck bemerken wir, es sind nur zwei andere Mitreisende auf einem nächtlichen Strandspaziergang.


Was im Zimmer folgt, ist das reinste Chaos, denn das Tote Meer-Wasser muss man auch erst mal wieder abkriegen! Ölige Schuhe, ölige Handtücher und eine ölige Badewanne, die sich dadurch schon fast in eine Todesgefahr verwandelt - und ich dachte mit dem Bad im Toten Meer hätten wir den gefährlichen Teil jetzt hinter uns!



Berg Sinai


Es geht weiter in den Süden, wir passieren Eilat am Roten Meer und die Grenze nach Ägypten. Für morgen Früh steht eine Wanderung auf den Mosesberg im Sinai auf unserem Programm. Ich bekomme schon beim Gedanken daran Respekt, denke mir aber, wenn es die Muttis aus unserer Reisegruppe schaffen, werde ich es als Achtzehnjährige ja wohl auch durchstehen. Wir bekommen einen neuen Reiseleiter, Alfred, einen neuen Busfahrer, Alfred und einen ägyptischen Sicherheitsmann. Ratet mal, wie er heißt. Unterwegs halten wir an einem Hotel, um im Roten Meer baden zu gehen, der Strand meinte es aber nicht gut mit unserer Gruppe - es gibt Quallen und Seeigel, und so bevorzugten wir den hoteleigenen Pool. Stellt euch mal vor, man nimmt sich jahrelang vor, den Mosesberg zu besteigen und tritt dann am Tag vor der Wanderung mit beiden Füßen in einen Seeigel.


Ganz die Touristen, lassen wir uns auch noch Schmuck von einer fliegenden Händlerin andrehen, die beste Verkaufstaktik ist es doch, ein Armband so fest zu binden, dass es die potenzielle Käuferin nicht mehr abbekommt und wohl oder übel bezahlen muss. Und ich erinnere mich noch, wie meine Mutter auch Monate nach dem Ägypten-Besuch ihr orientalisches Armkettchen trug, weil sie es nicht mehr ab bekam.


Es ist noch nicht mal 2 Uhr morgens, als das lauteste Telefon der Welt neben uns klingelt. Wir sind mitten im Sinai, mitten in der Wüste, es ist Winter und es ist vor allem kalt. Ausgerüstet mit Taschenlampen und Wanderstecken und eingepackt in 5 Lagen Pullover und Jacken stehen wir bereit für’s Frühstück, wir wollen uns stärken, um den Berg zu erklimmen. Was wir kriegen, gibt Energie für die ersten fünfzig Meter: Einen Tee, bei dem der Teebeutel das heiße Wasser nur im vorbeigehen berührt hat und einen Hauch von Kuchen, der so dünn geschnitten war, dass ich dadurch immer noch ganz deutlich meine Mutter sehen konnte. Aber es muss ja für alle reichen, also taumeln wir langsam los, den anderen Pilgern und Wanderern hinterher in die stockdunkle Nacht. Hin und wieder schnaubt es direkt hinter uns, Sand wird aufgewirbelt - wir hätten auch auf einem Kamel reiten können, allerdings wäre dann der Abgrund, an dem wir die meiste Zeit entlang laufen, noch ein paar Meter tiefer und wir verzichten.


Wir stapfen so vor uns hin, irgendwo zwischen frieren und schwitzen, als ich nicht mehr kann: der Sand, den wir seit Stunden aufwirbeln schnürt mir den Hals zu, ich habe keine Kraft mehr, dafür das Gefühl, langsam zu ersticken. Wir bleiben stehen und verlieren wieder mal die Gruppe, aber diesmal haben wir immerhin alle das gleiche Ziel. Und während ich hyperventiliere, sehe ich eine Sternschnuppe am Himmel. Ich wünsche mir nur, dass ich das hier überlebe. Und als wäre mein Wunsch erhört worden, kam nach der nächsten Kurve ein kleiner Rastplatz. Unsere Gruppe wartete dort schon und machte sich langsam ans Gehen, aber ich brauche jetzt erst mal meine Pause und holte mir an dem kleinen Verkaufsstand den lebensrettenden Schokoriegel. Das ist die Energie und Motivation, die ich jetzt zum Weitergehen brauche.


Der Blitz ist gleich doppelt so hell inmitten kompletter Dunkelheit. Aber die Aussicht war die Strapazen wert!


Nach etwas über vier Kilometern beginnen wir, den richtig harten Teil des Mosesbergs zu erklimmen, die 750 sogenannten Stufen, aber eher kleine und große Felsbrocken. Ich stelle mir mittlerweile vor, wie peinlich es wird, wenn später wegen mir ein Helikopter kommen muss, um mich vom Berg zu holen. Ich kann nicht mehr. Aus. Ende. Meine Mutter lockt mich trotzdem weiter, mit dem Versprechen auf die Aussicht vom Gipfel des Berges und den Sonnenaufgang.


Gut eine halbe Stunde vorher sind wir dann endlich oben, ich kann es selbst noch nicht glauben. Jetzt wird es aber so richtig kalt, Beduinen bieten uns dicke Decken an, die aber nach etwas zu viel haarigem Kamel und verschwitzen Touristen riechen, so lehnen wir ab. Gleich wird schon die Sonne kommen und uns aufwärmen. Und wie wunderschön der Sonnenaufgang dann vom höchsten Berg aus über dem Sinai-Gebirge wirklich war, kann ich nicht in Worte fassen. Allerdings bedeutet das auch, dass wir uns schon wieder bald an den Abstieg machen müssen - ein Teil der Reisegruppe wartet im Hotel auf uns und will gleich nach dem Frühstück los, zurück nach Israel. Der Gedanke ans Frühstücksbuffet ist mein letzter Antrieb, als wir über die 2500 Meter Felsbrocken und Gestein nach unten stolpern, ganz ohne Helikopter.


 

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